Seit 40 Jahren gibt es in Bad Vilbel den Verein zur Pflege der Waldorfpädagogik und damit auch den Waldorfkindergarten im Berkersheimer Weg. Auf der Podiumsdiskussion zur Waldorfpädagogik: Gestern – Heute – Morgen anlässlich der 40 Jahre Waldorfkindergarten Bad Vilbel erfuhren die Zuhörenden Interessantes von den Gründerinnen über ihre Beweggründe, für Ihre Kinder einen Waldorfkindergarten zu bauen. Das Besondere eines jeden Kindes zu erkennen und zu fördern, ist damals wie heute ein wichtiger Gedanke der Waldorfpädagogik.
Auf dem Höhepunkt des bunten fröhlichen Jubiläum-Kindergartenfestes Anfang Oktober erzählten Helga Bitsche und Barbara Pröls auf der Podiumsdiskussion von der Gründung des Waldorfkindergartens in Bad Vilbel. Schon vor 40 Jahren trafen sich einige Familien regelmäßig zum Lesekreis der Anthroposophie. Da war es naheliegend, Ihren Kindern den Besuch in einem Waldorfkindergarten zu ermöglichen, berichteten in ihrem authentischen Vortrag die beiden maßgeblichen Gründerinnen des Vereins zur Pflege der Waldorfpädagogik, Barbara Pröls und Helga Bitsche.
Das Geistige, wie es in der Anthroposophie lebt, brauchte es damals und dringender denn je, in der heutigen Zeit, um diese Einrichtung lebendig zu gestalten und atmen zu lassen. Aus der anthroposophischen Menschenkunde nach Rudolf Steiner heraus ist so durch die Initiative eine kleine Kindergartengruppe auf dem Dottenfelderhof vor mehr als 40 Jahren entstanden und mündete in den Bau unseres schönen Kindergartens im Berkersheimer Weg im Jahr 1988.
Eigeninitiative der Eltern
Einfach war der Weg nicht. Denn zunächst erhielten die Mütter der kleinen Kinder eine Absage von der Stadt Bad Vilbel. Diese wollte keine finanziellen Zuschüsse geben mit der Begründung, es bestünde kein Bedarf an weiteren Kindergartenplätzen. Dieser sei mit damals 108 Plätzen gedeckt! Eine Argumentation, die heute undenkbar wäre, betonte die Sozialdezernentin der Stadt Bad Vilbel, Ricarda Müller-Grimm, in ihrem vorausgegangenen Grußwort. Der Kindergarten konnte nur durch die Durchhaltekraft der Eltern entstehen und den unzähligen freiwilligen Stunden, die sie auf der Baustelle verbrachten. Die Einrichtung hat sich jedoch seiner heutigen Größe die wohltuende Geborgenheit und Fröhlichkeit, die darin herrschen, bewahrt.
Seit 40 Jahren ist das Interesse an der Waldorfpädagogik und ihrer Umsetzung ungebrochen. Im Laufe der Jahre hat sich das Konzept den Veränderungen in der Gesellschaft und im Berufsleben angepasst. Vieles jedoch, begründet durch die anthroposophische Menschenkunde, ist geblieben. So wissen die beiden Gründungsmütter sehr wohl, dass die vielen berufstätigen Mütter heute nicht mehr die Zeit für die Eigenleistung im Kindergarten erbringen können, wie sie die heute 70-Jährigen Mütter vor 40 Jahren getan haben. Umso mehr sei es zu honorieren, dass doch immer wieder Eltern dazu bereit sind, ihren Dienst in die Gemeinschaft zu stellen und bei Festen, Gartenaktionen oder Instandhaltungen des Gebäudes in ihrer Freizeit mit anzupacken. Auch die Krippenbetreuung im oberen Stockwerk des Hauses sei der Neuzeit geschuldet, um den Wiedereinstieg ins Berufsleben den Müttern möglich zu machen.
Eindringlich berichtete Hans Pröls aus dem Publikum über seine „Nebentätigkeit“, als er den Bau des Kindergartens im Berkersheimer Weg, oft noch vor Dienstbeginn seines Hauptberufes, beaufsichtigte und die Arbeit der Freiwilligen anleitete. Neben diesem praktischen Tun werde der Kindergarten von den Impulsen und Visionen der anthroposophischen Geisteswissenschaft getragen, sagte Pröls. Dies geschehe durch die Gründer und Gründerinnen sowie die Erzieherinnen in ihren Lesekreisen.
Vorstandsarbeit neu aufstellen
Verantwortung für die Einrichtung übernimmt seit nunmehr 14 Jahren Thomas Geller im Vorstand des Vereins zur Pflege der Waldorfpädagogik. Zusammen mit Hans Pröls, der zehn Jahre dem Vorstand angehörte, heben beide auf der Podiumsdiskussion hervor, wie wichtig Kontinuität und das Ehrenamt für den Erhalt der Einrichtung ist. Geller, selbst Waldorfschüler und Vater einer großen Tochter, ist mittlerweile mit seinen Vorstandskollegen verantwortlich für ein „mittelständisches Unternehmen“, zu dem der Waldorfkindergarten mit 20 Mitarbeiterinnen, 120 Kindern in sechs Gruppen in den vergangenen 40 Jahren gewachsen ist. Die Fülle an Verwaltungsarbeit und das meist aus Zeitgründen nachlassende Engagement von Eltern auch im Vorstand, lassen Geller und ein Kreis aus Erzieherinnen und Vorständen darüber nachdenken, das Leitungskonzept des Kindergartens neu aufzustellen.
Über die wohltuende und einfühlsame Zusammenarbeit zwischen Eltern und den Pädagoginnen berichteten aus unterschiedlichen Blickwinkeln zwei Kindergartenmütter. Über die gelungene Aufnahme ihres Sohnes berichtete Frau Schelly. Dabei stünde immer das Individuelle ihres Kindes bei allen Gesprächen mit den Pädagoginnen im Vordergrund. Ein besonderes Lob spendete sie allen 20 Mitarbeiterinnen des Kindergartens, dass sie die lange Corona-Zeit, die mit vielen Einschränkungen verbunden waren, gegenüber den Kindern nicht haben spüren lassen. Die Normalität, die die Erzieherinnen täglich den Kindern in dieser schwierigen Zeit vermittelten, sei großartig gewesen.
Wie sehr sie täglich den Spagat zwischen Familie, Beruf und Initiative in Kindergarten schafft, darüber berichtete authentisch Frau Katit. Sie ist selbst ein Waldorfkindergartenkind in Bad Vilbel gewesen, deshalb ist es für sie selbstverständlich, dass ihre Kinder auch hier betreut werden. Gerade die Offenheit, der sich beispielsweise die Erzieherinnen gegenüber der nicht mehr wegzudenkenden Digitalisierung stellen, empfinde sie als eine wichtige Weiterentwicklung der Waldorfpädagogik. Bei aller Flexibiltät und Anpassung bliebe beispielsweise der Reigen fester Bestandteil im Ablauf eines Kindergartentages.
Offene Kommunikation
Die tägliche Arbeit mit den Kindern stellt Erzieherin Christa Mülverstedt immer wieder auf den Prüfstand. Jeden Tag aufs Neue stelle Sie sich die Fragen:
„Kind, was bringst du vorgeburtlich mit“?
„Kind, was erwartest Du von mir“?
„Kind, wie kann ich dich begleiten“?
Neue Waldorfschule in Karben
Die Transparenz ihres Tuns ist Christa Mülverstedt gegenüber Ihren Kolleginnen in den Gruppen und Gesamtkonferenzen sehr wichtig. Auch eine offene wertschätzende Kommunikation zwischen Mitarbeiterinnen, Vorstand und Eltern sei eine Grundvoraussetzung für die positive Grundstimmung und Wohlfühl-Atmosphäre im Waldorfkindergarten, von der alle Beteiligten auf dem Podium und im Saal mit den Zuhörer:innen schwärmen. Das sei auch wichtig für die Entwicklung der Kinder, die schließlich die Hauptpersonen im Waldorfkindergarten sind: „Erlebt das Kind in seinem Umfeld Menschen, die in ihrem Handeln authentisch sind, ist es als Erwachsener in der Lage, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen“, führt Christa Mülverstedt aus. “Wir befinden uns in einem ständigen Lernprozess und investieren dafür auch sehr viel Zeit in den Konferenzen, Arbeitsgruppen und Fortbildungen“, ergänzt die dienstälteste Erzieherin in Bad Vilbel, Irmhilde Huther. Beide blicken sie gespannt in die Zukunft.
Denn schon im kommenden Jahr soll in Karben eine neue Waldorfschule starten. Das Konzept beruht auf der Handlungspädagogik und Inklusion. Damit möchte der Verein zur Pflege der Waldorfpädagogik die intensive Betreuung der Kinder im Kindergarten in der neu gegründeten Schule fortsetzen. Wieder sind es Eltern, Lehrer:innen, Pädagogen:innen und der Vorstand des Vereins zur Pflege der Waldorfpädagogik, die dieses große Projekt in ihrer freien Zeit vorbereiten. Interessierte sind jederzeit herzliche eingeladen, das Vorhaben umzusetzen.
Moderation und Text: Daphne Huber, Bad Vilbel